Mittwoch, 13. August 2014

The other side of Sexarbeit

Prostitution hat hierzulande ein Schmuddelimage, wird verschwiegen oder gleich verdammt. Alt-Feministinnen wie Alice Schwarzer schwingen sich gar dazu auf, ihr Verbot zu fordern. In der Debatte wird oft das Argument des Menschenhandels benutzt, um die mundtot zu machen, die ihren Job mögen.

 
Umso erfrischender, an einer Konferenz teilzunehmen, auf der es vor selbstbewussten Sex-Arbeiterinnen nur so strotzt und die mit dem 'Bosom Ballet' von Post-Porn Ikone Annie Sprinkle eingeleitet wird.
 
Auf dem Podium sitzt Carol Leigh, die den Begriff 'Sexworker' erfunden hat. Weil es weniger nach Missbrauch und mehr nach Selbstbestimmung klingt. Denn darum geht es hier: das Stigma der Opferrolle loszuwerden und sich selbst zu behaupten. Eigentlich auch Ziel des Feminismus. Dennoch hetzen viele Feministinnen gegen Sex-Arbeit.
 
Leigh spricht von sich selbst als Feministin der ersten Stunde und meint: wieso sollte eine Feministin selbstbestimmte, zufriedene Frauen verurteilen, nur weil sie ihren Job machen?

"Dass Sex nur in Verbindung mit Liebe geschehen kann, ist eine religiöse Ansicht. Genauso wie man früher verheiratet sein musste. Das ist Fundamentalismus." sagt Leigh. Die rothaarige Amerikanerin ist um die sechzig und auf ihrer üppigen Figur spannt ein "Sluts Unite" Shirt.


Vor ihr im Publikum sitzen junge Frauen und schreiben eifrig mit. Später werden auch sie das Wort ergreifen und ganz selbstverständlich von ihren eigenen Erfahrungen berichten. Eine nach der anderen wird ihre Ausführungen mit dem Satz "I'm a sexworker..." beginnen.
Und siehe da, sie berichten nicht von rücksichtslosen Freiern und brutalen Zuhältern. Sondern davon, wie rassistisch die Polizei bei den Razzien vorgeht, wie willkürlich sie schikaniert werden, wie sie unter der Stigmatisierung und Kriminalisierung leiden. 


Selbstbestimmung, Macht, Leadership

Immer mehr Frauen melden sich zu Wort, Sex-Arbeiterinnen aus Australien, Großbritannien und Deutschland. Sie alle haben anscheinend eins gemeinsam: sie stehen zu ihrem Job und sie mögen ihn.
Selbstbestimmung über den eigenen Körper, ein positives Verhältnis zu sich selbst, Macht, ja gar Leadership - das sind eigentlich keine Vokabeln, die einem zum Thema Prostitution als Erstes einfallen und doch dominieren sie die Diskussion. Hier ein paar Statements:

"Ich traue es mich fast nicht laut zu sagen, aber bei diesem Job habe ich so viel gelernt, ich habe ein gutes Körpergefühl und ich kann so viel geben, was die Welt braucht: Berührung und Kontakt."

"Ich habe studiert und fühle mich sehr privilegiert. Daher habe ich das Gefühl, nicht dazu stehen zu dürfen, dass mir mein Beruf Spaß macht und mir sehr viel gibt. Da es ja Andere gibt, denen es schlechter geht."

"Der Feminismus kann von uns und unserem Wissen nur profitieren. Wir haben der Welt so viel zu geben."

Auf der vom missy Magazine und Kampnagel organisierten Konferenz bekam man Einblicke in eine Welt jenseits der üblichen Schlagzeilen. Und man wundert sich schon, warum diese Perspektive so selten in den Medien auftaucht. Die Debatte war bunt, laut, widersprüchlich und teilweise chaotisch. Aber zumindest kamen einmal diejenigen zu Wort, die sie auch betrifft.

3sat-Beitrag zur Konferenz