Sonntag, 18. Oktober 2015

Künstlerin, böse - Eine Begegnung mit der Malerin Lydia Balke.

The artist hates to be present.
Zum allerersten Mal fiel mir Lydia Balke auf der Absolventenausstellung der HfbK in Hamburg auf, genauer genommen ihre Bilder. Diese Unterscheidung ist wichtig, wie wir später noch merken werden.

Frustriert vom langweiligen Einerlei, das man auf solchen Veranstaltungen antrifft, stolperte ich leicht angetrunken in eine dunkle Ecke und wurde plötzlich wach.
Da waren großformatige Bräute mit Schweineohren, ein ganzer Tryptichon voller Verderben, Angst und Schrecken. Davor Attrappen von verdorbenen Lebensmitteln.

"Bitte, bitte, sprich mich bloß nicht an."*

Nach einigem Zögern sprach ich die Künstlerin an und sagte, dass ich es schade fände, dass ihre großformatigen Bilder in einem so engen Gang hingen. Darauf meinte die mädchenhafte Absolventin mit den zerschnittenen Armen, das sei Absicht.
Ich bedankte mich bei ihr, nicht ohne zu sagen, dass ihre Sachen für mich aus dem Rest herausstachen. Den Namen Lydia Balke würde ich mir merken.




https://instagram.com/p/472DYHHMaC/
The shadow of Lydia. HfbK, Juli 2015
Nun entdeckte ich den Namen wieder. In einer Ankündigung des ortsansässigen Kunstvereins für "Malerei, böse", eine Ausstellung zeitgenössischer Malerei mit Lydia Balke als Headlinerin. Sofort registrierte ich mich bei Facebook für den Artist Talk mit allen Künstlern. Schließlich wollte ich mehr erfahren, über Lydia, ihre Kunst und ihre Abgründe.

"Jeder Pinselstrich tötet etwas."

Nach dem Morgenpost-Kunstjournalisten registrierte ich mich am Eingang als Fotografin und bekam einen dicken DIN A4-Umschlag ausgedruckter Pressemitteilungen ausgehändigt. So weit, so Kunstverein. Ich war jedenfalls froh, für die drei Bilder, die ich sehen wollte, nicht auch noch Eintritt zahlen zu müssen.

"Außer den Bildern bin ich nichts."*

Dann begann der "Arist Talk": ein paar "artsy" aussehende Leute, unter ihnen viele Studenten, Dozenten, selbst erklärte Kunstkenner und ich lauschten wie die Kuratorin ohne Mikrofon die Künstler befragte, während ein ARTE-Kamerateam um sie herumturnte.

Akustisch eher suboptimal, gab es mir aber Gelegenheit, Fräulein Balke zu beobachten, die als Letzte dran war. Geschmeidig und unmerkbar wie eine Katze, gesellte sie sich zu der Gruppe, hörte aufmerksam zu, hielt sich an einer Tasse fest, stahl sich wieder davon, begrüßte Freunde, setzte sich auf den Boden und war sichtlich nervös.


Artist Talk mit Lydia.
 Während ihr Mitaussteller am besten gar nicht mehr aufhören wollte, seine Bilder zu erklären, biss die Kuratorin bei Frau Balke auf Granit. Sie sei nur Malerin und wisse gar nicht, wie man auf 'Artist Talks' so zu talken habe. Das könne sie gar nicht. Überhaupt fände sie es überflüssig, überhaupt über Malerei zu reden. BÄM.

"Wäre ich keine Malerin, ich wäre Massenmörder."*

Auf das über ihr schwebende ARTE-Mikro reagiert sie mit den Worten: "Das irritiert mich gerade sehr." Doch die Kuratorin lässt nicht locker, fragt nach dem Bezug der Malerei zu Massenmördern, fragt nach Referenzen, Bildern, Kunstverein-Kategorien eben. Lydia antwortet schneidend klar auf jede Frage, mit einer Kompromisslosigkeit und Präzision, die in diesem Setting so fehl am Platze und gerade deshalb so wohltuend ist.

"Mein Manifest, meine Regeln."*

Sie mache von Kleinauf nichts anderes als das, was Andere am Ende Malerei nennen. Ebenso könne es auch "Banane" heißen. Es sei für sie nicht von Bedeutung. Das Produkt ist demnach abgetrennt vom Prozess. Wie sie dabei aussähe, wie es stinkt und wie schmutzig es sei, bekäme keiner mit.

Sie sei lieber Arbeiterin und keine Künstlerin - "besonders wenn ich sehe, wer sich noch so nennt".

Kuratorin Bettina Steinbrügge, verzweifelt.

Als ich später das Gespräch mit ihr suche, ist sie umringt von älteren Herren, die auch mal "Kunst studiert" haben und Fragen stellen, aber auch belehren wollen. Lydia Balke hört ganz ruhig zu, sie ist das gewöhnt. Mit kleinen spitzen Bemerkungen spielt sie jeden Ball zurück und trifft immer.

Als ich sie nach einem Interview frage, lehnt sie entschieden ab. Nein, sie müsse sich für so etwas nicht mehr zur Verfügung stellen. "Das habe ich am Anfang gemacht, weil alle behauptet haben, das gehöre dazu." Jetzt wolle sie einfach nur noch zurück ins Studio. Ich kann ihr nicht einmal böse sein.


Die Ausstellung "Malerei, böse" läuft noch bis zum 10.01.2016 im Kunstverein Hamburg.

Die Website der Künstlerin findet Ihr hier.

*Zitate aus dem Katalog der Künstlerin, den man nicht erwerben kann, der aber im Kunstverein ausliegt und in der Pressemappe teilweise als Kopie vorliegt.


Dienstag, 14. Juli 2015

Radio Love - Kurze Liebeserklärung an das Autorenradio*


Schon in frühester Jugend lernte ich die tröstende Wirkung von Autorenradio in Form von Jürgen Kuttners "Sprechfunk" kennen.
Klar, ich war in der Pubertät und fühlte mich ein bisschen orientierungslos, ein bisschen allein und ein bisschen überfordert.


Jürgen Kuttner oder der Mann,
der meine Pubertät erträglich machte.

Doch jeden Dienstagabend, wenn ich Kuttners Stimme über Gott und die Welt berlinern hörte, war diese gleich ein kleines bisschen besser. Irgendwann nahm ich jede Sendung auf Kassette auf und hörte sie immer wieder. Sie waren meine Zuflucht auf langen Urlaubsfahrten mit meinen Eltern, gaben mir Orientierung und ein Gefühl von Verbundenheit. Die Stimme im Radio war so, wie mein Leben sein sollte. Unkonventionell, locker und irgendwie frei. Ohne Kuttner hätte ich nie mit sechzehn P.J. Harvey und Les Reines Prochaines gehört, oder Gustav Mahler.

Radio tötet Einsamkeit, so einfach ist das.

Ich finde, es gibt fast nichts Intimeres als wenn einem jemand direkt ins Ohr spricht. Auch wenn dieser Jemand nicht neben einem sitzt, sondern die Stimme über Radiowellen übertragen wird. Dieser Fakt wird nicht nur von hysterisch-kreischenden Morning-Moderatoren ignoriert, sondern auch von uns.

Denn die Autoren sind dem Radio abhanden gekommen. An die Stelle von Persönlichkeiten sind Automaten getreten, die in immer schnellerer Rotation die immer gleichere Musik abspielen. Nur unterbrochen von Werbeblöcken.

Doch es gibt sie noch, die Inseln des guten Geschmacks, der ruhigen Stimmen, der Musik, die man noch nie gehört hat. Ich nenne sie mal Orchideensendungen, die man in den Tiefen des Internets oder manchmal auch im öffentlich-rechtlichen Bereich findet. Meistens spät nachts, in den dritten Programmen.

Wo Radiomacher sich ihrer Verbindung zum Hörer, ja ihrer Verantwortung bewusst sind. Und das ist auch gut so. Denn Radio hören macht weniger alleine.

*angelehnt an Autorenfilme im Gegensatz zu Blockbustern