Dienstag, 26. November 2013

An Euren Feminismus glaub ich nicht!

Warum ich mich nicht als Feministin bezeichne und das auch nie tun werde, wurde mir heute wieder klar. Ich nahm an einer Podiumsdiskussion ausgewiesener Feministinnen teil, die sich am Ende gegenseitig beharkten, widersprachen und berichtigten. Das ist für mich symptomatisch für den Zustand des Feminismus seit jeher und besonders heute.

Ist Ryan Gosling Feminist?

Was macht aus einer Frau eine Feministin? War es in den 70ern der maskuline Kurzhaarschnitt, die weite Latzhose und das EMMA-Abo, ist die Feministin von heute angeblich sexy, cool und natürlich immer online. Das war dann grob umrissen auch das Thema der Auftaktveranstaltung der "Gender Lectures" an der Uni Hamburg mit dem reißerischen Titel "Feminismus ist Pop".

Vor dem spärlich besetzten Auditorium mit vereinzelten Männern saß das komplett weibliche Podium: eine feministische Twitterin, eine feministische Buchautorin, eine Journalistin, die auch über Frauen schreibt und eine feministische Zeitschriftverlegerin.
Nunja, wenn Feminismus wieder populär sein sollte, dann war das an der Uni Hamburg zumindest noch nicht angekommen. Kurz darauf begann Jede von ihrer Lebenswelt zu erzählen. Die Twitterin erklärte, warum sie gerne twittert. Die Journalistin, warum sie früher nicht gern über Frauen geschrieben hat (war bei den männlichen Kollegen nicht angesehen). Die Buchautorin hatte gleich eine Agenda mit Geichstellungs-Zielen vorbereitet, die sie der Länge nach vortrug und die Verlegerin beklagte sich über die Flüchtigkeit der sozialen Medien und die in ihrer Redaktion fehlenden Kapazitäten diese zu bedienen.
So weit, so gar nicht gut. Was hatte das denn alles mit Feminismus zu tun, um den es hier eigentlich gehen sollte?

Natürlich kam bald das Thema "Aufschrei" zur Sprache und die Frage nach einer Organisation der Betroffenen und nach Folge-Aktionen wurde laut. Die Online-Feministin gab zu recht zu bedenken, dass eine Organisation schwierig bis unmöglich sei. Richtig, wozu auch? "Aufschrei" war eine digitale Demonstration von täglichem Sexismus in unserer Gesellschaft. Punkt. Die Aktion hat Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt. Punkt. Warum reicht das nicht? War Aufschrei jemals eine feministische Aktion? Oder als solche angelegt?

Die Print-Dame gab wiederum zu bedenken, dass dieser ganze Online-Feminismus viel zu schnelllebig sei und sich die Frauen dabei verbrauchten und verbrannten. Es fiel das Wort "Feminist Burn-out", das aber am Ende niemand so richtig erklären konnte oder wollte.

Es wurde von dem Feminismus als Erneuerung des Neo-Liberalismus gesprochen, so wie er in Sheryl Sandbergs "Lean In" vertreten werde. Nach dem amerikanischen Motto: "Wenn du dich nur richtig anstrengst, dann schaffst du alles, auch als Frau". Es fielen die Worte Lookism, Racism und Ableism. Da schwirrte mir schon der Kopf.

Das Ex-Alpha-Mädchen Meredith Haaf beklagte, dass Feminismus immer nur ökonomisch konnotiert werde und bezifferte im gleichen Atemzug die Frauen-Arbeitslosigkeit im Osten mit 23 Prozent. Häh?! Es ginge darum, die Männer im Kopf zu ändern, weil ökonomisch könnten Frauen ja heute schon so leben könnten wie Männer...

Jede warf also also mit Thesen, Konzepten und Forderungen um sich, auf die keine der anderen Frauen einging. Sehr unproduktiv.

Dann ging es natürlich um FEMEN, über die die anwesende Journalistin eine vernichtende Reportage geschrieben hatte und an denen sie nun kein gutes Haar ließ. Das sei eine höchst hierarchische Organisation ohne Sinn und Verstand, die glaubten, in muslimischen Ländern gäbe es keine Feministinnen. Da gehen die Meinungen also auch auseinander.
Femen-Protest in Paris.
Es gibt nicht wenige Feministinnen, die die FEMEN-Aktivistinnen offen anfeinden. Alice Schwarzer, lange Zeit Dutschlands Vorzeige-Feministin wiederum mag Femen. Dafür hat Schwarzer aber was gegen Prostitution und ruft sie in der aktuellen EMMA zu deren Abschaffung auf.
Das stößt auf Widerstand von anderen Feministinnen, die für mehr Rechte der Prostituierten kämpfen.

Was also ist eine Feministin? Oder ist es nicht eher jede Feministin für sich selbst? Natürlich in tiefer Solidarität mit den "Schwestern", die genau die gleichen Meinungen und Befindlichkeiten teilen und auf der gleichen Welle schwimmen. Für mich ist das Augenwischerei.

Ich hatte in der Vergangenheit immer das Gefühl, einfach zu wenig gelesen zu haben, um beim Thema Feminismus wirklich mitreden zu können. Der Begriff war für mich nicht greifbar und so begnügte ich mich mit den Klischees, in die ich nicht passen wollte. Ich stellte aber fest, umso mehr ich mich mit dem Thema befasste, umso weniger definierbar wurde er. Don't get me wrong. Auch ich habe mich früh durch Beauvoirs "Das zweite Geschlecht" gequält.  Auch ich habe bis heute Probleme mit stereotypen Frauenbildern in den Medien, Frauenfeindlichkeit und der Sexualisierung der Frau in unserer Gesellschaft.

Ich beobachte mit Schrecken die Auswirkungen des medial vermittelten "Idealbildes Frau" auf junge Mädchen. Ich habe meine Laury Penny gelesen und bin großer Fan von Susie Orbach. Ich gehe reflektiert mit Geschechterrollen im Alltag um. Ich kenne "Pinkstinks" und den Kampf der Britinnen gegen Page Three. Ich habe mich in einer Arbeit mit dem Gender Pay Gap beschäftigt und mich sogar bis zu Judith Butler vorgewagt.

Bin ich deswegen eine Feministin? Nein, denn ich glaube nicht an eine Bewegung, die so zerstritten ist und sich nach so vielen Wellen immer noch nicht auf gemeinsame Ziele, Ansichten und Überzeugungen einigen kann.

Daher wehre ich mich seit jeher dagegen, dieses Label auf mich anzuwenden und beobachte mit Erstaunen, wie inflationär in letzter Zeit damit hantiert wird. Exemplarisch dafür war eine Publikumsmeldung am Ende der Diskussion, die darum bat, doch bitte nicht andauernd in der "Wir"-Form zu sprechen und von "Feminismen" statt von dem "Feminismus".

Wenn es allerdings so viele kleine "Feminismen" gibt wie Menschen, dann können wir uns das Label doch gleich ganz sparen, oder?

Zeitlos // gut: Woody Allens "Interiors" / "Innenleben" (1978)

 
Drei ungleiche Schwestern auf der Suche nach dem richtigen Leben.

Mittdreißiger, die in Therapien ihre Kindheit aufarbeiten, junge Kreative, die vor lauter Selbstbezogenheit weder zu sich selbst noch zu Anderen finden und sich in Äußerlichkeiten flüchten.
Was heutzutage in jeder westlichen Großstadt spielen könnte, drehte Woody Allen bereits 1978 in New York. Ein echter Schatz des Autorenkinos, den es sich wiederzuentdecken lohnt.

Im Mittelpunkt stehen drei Schwestern, die jede auf andere Art mit einer psychisch-kranken Mutter,  ihrem Leben und Krisen umgeht.
Diane Keaton ist Renata, eine erfolgreiche Schriftstellerin in der Schaffenskrise. Wenn sie nicht versucht zu schreiben, streitet sie mit ihrem Mann oder sitzt beim Therapeuten.

Joey, gespielt von Mary Beth Hurt, galt einst als Wunderkind mit dem größten Potenzial. Heute gibt sie jeden Job nach kurzer Zeit auf und scheint trotz ihrer vielen Talente nichts zu finden, das sie auf Dauer machen möchte. 

Die Fragen, die sie sich in dieser Szene stellt, sind so wunderbar und schrecklich zeitlos zugleich.



Als der Vater die nervlich zerrüttete Mutter am Essentisch in Anwesenheit der erwachsenen Töchter verlässt, beginnt die Fassade der gutbürgerlichen, intellektuellen Ostküstenfamilie zu bröckeln.
Die Mutter findet derweil ihre Berufung in der Inneneinrichtung der Wohnung ihrer Tochter.


Allen thematisiert mit "Interiors" exemplarisch die Gefühlslage von Mittdreißigern: Schuldgefühle gegenüber älter werdenden Eltern und die ständige Frage, ob das jetzige Leben das richtige sei.
Hinter allem lauert ein Riesen-Anspruch, an den richtigen Partner, den richtigen Wein, das richtige Gespräch. Die Form wird wichtiger als der Inhalt. Ästhetik schlägt Liebe und der gute Geschmack erstickt das wahre Leben.

Diese auf Unsicherheit und Neurosen aufgebaute Welt gerät ins Wanken als der Vater eine neue Frau heiratet: laut, pragmatisch und lebensfroh. "Sie ist vulgär" lautet der schlimmste Vorwurf, den ihm seine Tochter machen kann. Besonders Joey gerät durch die neue Frau in einen Zwiespalt: einerseits liebt sie ihre zwanghafte Mutter und andererseits macht sie diese Liebe lebensunfähig.
Es kommt zu einem dramatischen Finale, in dem ihr 'neues Leben eingehaucht' wird. 
Am Ende muss das Künstliche, Manierierte sterben, um Platz zu machen, für das Leben. 

"Interiors" ist Allens unironischster Film und gerade deswegen sehr sehenswert.


Mittwoch, 20. November 2013

Berlin. Revisited.

An alten Freunden neue Seiten entdecken, in Clubs feiern, die früher anders hießen und noch einmal die alte Strecke im Nachtbus fahren. Wenn man ein paar Tage in der Stadt verbringt, in der man aufgewachsen ist, gesellen sich zu den Erinnerungen bald neue Eindrücke. Besonders wenn diese Stadt Berlin heißt.

Ich hatte gar nicht vor, so lange zu bleiben. Anlässlich der alljährlichen Reunion mit Freundinnen hatte ich fast beiläufig ein Ticket gebucht und für ein paar Tage gepackt. 
Ich mochte Berlin nicht mehr. Meine letzten Besuche waren Pflichtauftritte bei Familienfeiern gewesen und auch jetzt freute ich mich eher auf die Leute als auf die Stadt.

Berlin-Ostkreuz.

Als ich am Alex ankam, schlug mir sofort die geballte Prekarität entgegen, der man in Hamburg so schön entkommen kann. Ein Wurstverkäufer im Rollstuhl wartete vor dem Bahnhof auf Kundschaft und der eiskalte Wind kündigte einen unerbittlichen Berliner Winter an. 
In mir kroch die alte Angst hoch, inmitten dieser sozialen Kälte zu verrecken. Ich twitterte die Abscheu in mein Telefon, um nicht aufschauen zu müssen.

@Denise_dakar 09.11.13 18:13
Berlin. Wo ich nie wieder leben möchte. #ausvielengruenden

Mit den Freundinnen ging es dann wie jedes Jahr zum Stamm-Italiener. Beide haben im Sommer zusammen Urlaub gemacht, beide haben Kinder und arbeiten gerade an einem Kinderbuch. Obwohl ihre Leben nicht weiter von meinem entfernt sein könnten oder wegen des vielen Weines fühlte ich mich weniger einsam als in meiner Hamburger Wohnung bei der x-ten Staffel "Homeland". Ich beobachtete ihre Gesten wie alte Bekannte und fühlte mich gut aufgehoben. Das war also diese Freundschaft: Wenn man sich habituell so vertraut ist, dass es keiner faktischen Übereinstimmungen mehr bedurfte. 

Sich gegenseitig betrunken machen.

Ich blieb noch ein bisschen bei ihnen. Am nächsten Tag kamen dann die Kinder dazu. In meiner Erfahrung stets ein entfremdendes Element. Ein Schritt mehr zur Überwindung der Distanz von einem Menschen zum anderen, meist unüberwindbar. Da geht dann das typische Programm los: warten, lächeln, 'oh wie süß' sagen, Babysprache, Erziehungsfragen, logistische Fragen, Kinderwagen-Schieben, aufpassen, nur bei Grün, 'nein, da können wir jetzt nicht rein', ans Spielzeug denken, Schal umbinden, Spielzeug suchen, Mütze aufsetzen, Durst, Pipi, wieder was trinken und ach ja, dabei lächeln nicht vergessen.

Die Kinder der Anderen.
Nicht, dass ich das nicht schon kenne. Was dabei auf der Strecke bleibt: der Kontakt jenseits der reproduktiven Arbeit der Anderen. So sehr man sich als kinderloses Wesen auch anstrengt, unter Tische krabbelt, die Namen aller Kindercafés auswendig und die aktuelle Elterngeld-Regelung kennt. Man bleibt stets draußen stehen vor der Prokreations-Bubble.

@denise_dakar 10.11.2013 16:46 Uhr
Berlin oder die Hölle ist ein Kindercafé.

Dann also zu den kinderlosen Freunden mit freien Kapazitäten zur Abendplanung. Da diese praktisch nicht existieren, greife ich auf Freunde von Freunden, sozusagen auf Freunde zweiten Grades zurück. Die hätte ich mir wahrscheinlich selbst nicht ausgesucht, aber hey, immerhin haben die Zeit.

Zunächst lege ich eine Yogastunde bei einer Trainerin ein, die erst etwas vom "großen Wir" murmelt, dann Orgel spielt und später dünne Männer, die Leggings tragen, mit China-Balsam einreibt. Wahnsinn und so holy, dass niemand in der Umkleide miteinander redet.

Ich fahre an viele Orte, die ich von früher kenne. Ich weiß jetzt, dass man im Chagall noch immer einen anständigen Bortsch für 3,50 € bekommt. Dass die Gegend um die S-Bahnbrücke an der Dänenstraße noch immer den abgefuckten Charme ausstrahlt, an dem ich 'mein Berlin' festmache. Dass ich im Uebereck immernoch nächtelang auf dem alten Sofa quatschen, aber nicht die Zeit anhalten kann. Auch wenn der Ort der gleiche ist.

An der Dänenstraße.
Ich habe gesehen, wie meine Freunde sich weiterentwickelt haben und auch ich kann ja nicht stehengeblieben sein. Ich habe in dieser Woche getrunken, getanzt, bin wieder die Alte gewesen, habe gespielt, die Andern unterhalten und danach im Nachtbus geheult. Ob der Vergeblichkeit oder aus so etwas wie Liebe. 

Es fiel mir dieses Mal schwer, Berlin nach einer Woche wieder zu verlassen und zum ersten Mal seit Jahren kann ich mir vorstellen, zurückzukehren. Trotz der Kälte, trotz der Erinnerungen, wegen der Menschen.

@denise_dakar 18.11.2013 17:21 
Berlin oder Alte Liebe rostet nicht.