Sonntag, 14. September 2014

Auf zur P/ART oder ein Ausflug nach Harburg

So Facebook-Zusagen gehen einem ja immer leicht von der Hand. Ich hatte bereits Wochen im Voraus der Producers Art Fair in den Phoenix Hallen zugesagt. Nun plante ich an einem Samstagabend mit der HVV-App meinen Weg nach Harburg. Was wie eine Welt entfernt scheint, ist in Wirklichkeit nur vier Haltestellen vom Hauptbahnhof entfernt und so fand ich mich im multilingualen Gewusel der Harburger Bahnhofs wieder.
 
Überall Wegweiser.
Nach einigen Pfiffen und Blicken, die sich jenseits der Elbe in dieser Frequenz eher selten ereignen, war ich dank der super Weg-Beschreibung der Organisatoren bald am Ziel. In den Phoenix Hallen, wo auch die Sammlung Falckenberg beheimatet ist, hatten die jungen Kuratoren fünf Fabriketagen nur für sich.
Harburg City People.

Der Trailer und die erste Ausgabe der Messe auf dem Kolbenhof ließen viel Gutes hoffen.
Ziel des neunköpfigen P/ARTS-Teams ist nichts weniger als die Gesetze des Kunstmarktes auf den Kopf und den Künstler wieder in den Mittelpunkt zu stellen.

Ich freue mich über die hellen, loftartigen Räume, das artsy, aber freundliche Publikum und die gute Verpflegung. Denn es gibt leckere Lauch-Tarts von der Tarterie St.Pauli und ausgesuchte Weine von tvino.

Kunst und Essen als Konzept.

So kann ich mir entspannt die Kunstwerke ansehen, die von filigranen Illustrationen über Installationen bis hin zu großflächigen Malereien, Fotografien und Videokunst so ziemlich jede Kunstform repräsentieren.

Es ist Samstagabend und die Etagen fast leer. Hier und da ein paar Künstler, die ihre Kunstwerke beaufsichtigen, ein paar wissende Kenner und Frank Spilker ist auch da.
Leere Gänge am Samstagabend.

Alles in allem ein gelungener Abend, auch wenn ich keine Kunst gekauft habe. Ein weiteres Ziel der P/ART ist es nämlich, junge und weniger zahlungskräftige Käufer anzulocken. So muss jeder Künstler mindestens ein Werk unter 100,- € anbieten.

Vielleicht ja nächstes Jahr. Dabei bin ich auf jeden Fall.


Die P/ART findet jedes Jahr in Hamburg statt. Die aktuellen Termine findet Ihr auf der Website und natürlich auf Facebook. Zum Reeperbahn-Festival geht es schon weiter mit der P/ARTIKEL, der kleinen Schwester der großen Messe.

Murals sind der letzte heiße Scheiß*

*Ich schreibe diesen Beitrag nicht für Leute, die die "art" abonniert haben oder die von einer Block-Party zur nächsten hüpfen, sondern für den Rest. Für die, die "Häh, was?" fragen, wenn ich von Murals rede. Bitteschön.

PAU für ihr "Project Wallflowers" an der Heliosstraße in Köln-Ehrenfeld.
 

Seit einiger Zeit steht das Mural immer mehr im Mittelpunkt der legalen Street-Art. Wahrscheinlich, weil es einfach auffällt, wenn sich Leute mit Farbeimern, Atemschutz und Kran einer Wand nähern. Viele Murals entstehen als Nachbarschafts-Projekte mit Bezug zum öffentlichen Raum. Doch auch der Kommerz hat sie schon für sich entdeckt.

Das erste aufsehenerregende Mural-Projekt hierzulande war die East Side Gallery. Im Frühjahr 1990 bemalten als 118 Künstler aus aller Welt die Ostseite der Berliner Mauer. Das war ziemlich politisch (siehe unten).


Berliner Mauer 1990: das erste deutsche Mural-Projekt.
 
Kunst meets Kommerz

Heutzutage gibt es eine etablierte Community von großen Namen wie Pixelpancho, JR oder Etam Cru, die in einzelnen Projekten und auf Festivals auftauchen. Kaum einer von ihnen ist noch ohne massive Social Media Präsenz und entsprechender Fangemeinde unterwegs. Die Follower posten selbst Bilder ihrer Lieblingsartists und machen sich durch Hashtags gegenseitig auf neue Sichtungen aufmerksam.

Vorbei sind die Zeiten, in denen sich die Wandbemaler bei Nacht und Nebel davonstahlen. Heute werden die Street-Artists gefeiert wie Pop-Stars. Die Block-Parties wie in Montreal oder New York sind Riesen-Events. Natürlich ist der Kommerz da nicht weit.
Streetwear Firmen wie Converse sponsern inzwischen ganze Kunstwerke. Dazu wird dann ein Video mit elektronischer Musik gedreht und fertig ist der Werbeclip.




Als sogenannte Urban Art erobert Street-Art längst die Galerien und Kunstmessen weltweit. Galerien in Köln und Hamburg integrieren Murals in ihre Ausstellungen.

Die andere Seite

Doch es gibt auch die Community-Projekte wie in Bushwick, Brooklyn, wo Joe Ficalora auf eigene Initiative seine Nachbarschaft und nicht zuletzt sein Leben aufgewertet hat: "Mit jedem Mural, das hier entsteht, bringe ich ein bisschen Schönheit und ein bisschen Leben in die Nachbarschaft zurück. Es ist, als würde die Sonne aufgehen. Die Leute lächeln wieder."




Oft nehmen die Arbeiten Bezug auf die Nachbarschaft und die gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen sie entstehen. Das ist meist in eher heruntergekommenen Viertel, Arbeiterwohnblöcken oder verlassenen Häuser wie in der belgischen Geisterstadt Doel, die Street-Artists fast komplett erobert haben. Als die Stadt dem Hafenausbau zum Opfer fallen sollte, unterstützten Künstler aus ganz Europa mit ihren Murals die Einwohner, die nicht weichen wollten. Heutzutage sind es noch ganze 25 und Doel eine Art "post-apokalyptisches Kunstparadies".

Aber nicht immer steht die politische Message so sehr im Vordergrund: "Ich bin nicht hier, um die Welt zu verändern. Ich bin nicht Che Guevara oder so!" so das Duo Etam Cru in der sehenswerten Dokumentation über ihre Arbeit beim "Urban Creatures" Festival in Sofia.




Sie sagen aber auch: "Es ist besser, Murals in alten, etwas heruntergekommenen Ecken zu machen. Da brauchen das die Leute noch. Ich will, dass sie aus ihrer Routine gerissen werden und für einen Moment träumen können."

Die chilenische Mural-Künstlerin Pau Quintanajornet fand die Menschen vor ihren Wänden so interessant, dass sie ihnen ein eigenes Projekt gewidmet hat. Für das "Project Wallflowers" dokumentieren sie und weitere Künstlerinnen den Entstehungsprozess der Murals und die Interaktion mit den Menschen, denen sie weltweit begegnen.

Im Moment sprießen Mural-Festivals von Stavanger bis Moskau nur so aus dem Boden.

Bleibt zu hoffen, dass sie einen Beitrag zur jeweiligen Gemeinschaft leisten und nicht komplett von kommerziellen Interessen vereinnahmt werden. Bisher sieht es ganz gut aus.

Auch Hamburg hat seit heute sein temporäres Wandbild-Festival. Im Rahmen von City Canvas werden an der Reeperbahn aufgestellte Wände bemalt. Eine ständige Mural-Galerie entsteht im Millerntorstadion, gesponsert von Viva con Agua...