Dienstag, 26. November 2013

An Euren Feminismus glaub ich nicht!

Warum ich mich nicht als Feministin bezeichne und das auch nie tun werde, wurde mir heute wieder klar. Ich nahm an einer Podiumsdiskussion ausgewiesener Feministinnen teil, die sich am Ende gegenseitig beharkten, widersprachen und berichtigten. Das ist für mich symptomatisch für den Zustand des Feminismus seit jeher und besonders heute.

Ist Ryan Gosling Feminist?

Was macht aus einer Frau eine Feministin? War es in den 70ern der maskuline Kurzhaarschnitt, die weite Latzhose und das EMMA-Abo, ist die Feministin von heute angeblich sexy, cool und natürlich immer online. Das war dann grob umrissen auch das Thema der Auftaktveranstaltung der "Gender Lectures" an der Uni Hamburg mit dem reißerischen Titel "Feminismus ist Pop".

Vor dem spärlich besetzten Auditorium mit vereinzelten Männern saß das komplett weibliche Podium: eine feministische Twitterin, eine feministische Buchautorin, eine Journalistin, die auch über Frauen schreibt und eine feministische Zeitschriftverlegerin.
Nunja, wenn Feminismus wieder populär sein sollte, dann war das an der Uni Hamburg zumindest noch nicht angekommen. Kurz darauf begann Jede von ihrer Lebenswelt zu erzählen. Die Twitterin erklärte, warum sie gerne twittert. Die Journalistin, warum sie früher nicht gern über Frauen geschrieben hat (war bei den männlichen Kollegen nicht angesehen). Die Buchautorin hatte gleich eine Agenda mit Geichstellungs-Zielen vorbereitet, die sie der Länge nach vortrug und die Verlegerin beklagte sich über die Flüchtigkeit der sozialen Medien und die in ihrer Redaktion fehlenden Kapazitäten diese zu bedienen.
So weit, so gar nicht gut. Was hatte das denn alles mit Feminismus zu tun, um den es hier eigentlich gehen sollte?

Natürlich kam bald das Thema "Aufschrei" zur Sprache und die Frage nach einer Organisation der Betroffenen und nach Folge-Aktionen wurde laut. Die Online-Feministin gab zu recht zu bedenken, dass eine Organisation schwierig bis unmöglich sei. Richtig, wozu auch? "Aufschrei" war eine digitale Demonstration von täglichem Sexismus in unserer Gesellschaft. Punkt. Die Aktion hat Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt. Punkt. Warum reicht das nicht? War Aufschrei jemals eine feministische Aktion? Oder als solche angelegt?

Die Print-Dame gab wiederum zu bedenken, dass dieser ganze Online-Feminismus viel zu schnelllebig sei und sich die Frauen dabei verbrauchten und verbrannten. Es fiel das Wort "Feminist Burn-out", das aber am Ende niemand so richtig erklären konnte oder wollte.

Es wurde von dem Feminismus als Erneuerung des Neo-Liberalismus gesprochen, so wie er in Sheryl Sandbergs "Lean In" vertreten werde. Nach dem amerikanischen Motto: "Wenn du dich nur richtig anstrengst, dann schaffst du alles, auch als Frau". Es fielen die Worte Lookism, Racism und Ableism. Da schwirrte mir schon der Kopf.

Das Ex-Alpha-Mädchen Meredith Haaf beklagte, dass Feminismus immer nur ökonomisch konnotiert werde und bezifferte im gleichen Atemzug die Frauen-Arbeitslosigkeit im Osten mit 23 Prozent. Häh?! Es ginge darum, die Männer im Kopf zu ändern, weil ökonomisch könnten Frauen ja heute schon so leben könnten wie Männer...

Jede warf also also mit Thesen, Konzepten und Forderungen um sich, auf die keine der anderen Frauen einging. Sehr unproduktiv.

Dann ging es natürlich um FEMEN, über die die anwesende Journalistin eine vernichtende Reportage geschrieben hatte und an denen sie nun kein gutes Haar ließ. Das sei eine höchst hierarchische Organisation ohne Sinn und Verstand, die glaubten, in muslimischen Ländern gäbe es keine Feministinnen. Da gehen die Meinungen also auch auseinander.
Femen-Protest in Paris.
Es gibt nicht wenige Feministinnen, die die FEMEN-Aktivistinnen offen anfeinden. Alice Schwarzer, lange Zeit Dutschlands Vorzeige-Feministin wiederum mag Femen. Dafür hat Schwarzer aber was gegen Prostitution und ruft sie in der aktuellen EMMA zu deren Abschaffung auf.
Das stößt auf Widerstand von anderen Feministinnen, die für mehr Rechte der Prostituierten kämpfen.

Was also ist eine Feministin? Oder ist es nicht eher jede Feministin für sich selbst? Natürlich in tiefer Solidarität mit den "Schwestern", die genau die gleichen Meinungen und Befindlichkeiten teilen und auf der gleichen Welle schwimmen. Für mich ist das Augenwischerei.

Ich hatte in der Vergangenheit immer das Gefühl, einfach zu wenig gelesen zu haben, um beim Thema Feminismus wirklich mitreden zu können. Der Begriff war für mich nicht greifbar und so begnügte ich mich mit den Klischees, in die ich nicht passen wollte. Ich stellte aber fest, umso mehr ich mich mit dem Thema befasste, umso weniger definierbar wurde er. Don't get me wrong. Auch ich habe mich früh durch Beauvoirs "Das zweite Geschlecht" gequält.  Auch ich habe bis heute Probleme mit stereotypen Frauenbildern in den Medien, Frauenfeindlichkeit und der Sexualisierung der Frau in unserer Gesellschaft.

Ich beobachte mit Schrecken die Auswirkungen des medial vermittelten "Idealbildes Frau" auf junge Mädchen. Ich habe meine Laury Penny gelesen und bin großer Fan von Susie Orbach. Ich gehe reflektiert mit Geschechterrollen im Alltag um. Ich kenne "Pinkstinks" und den Kampf der Britinnen gegen Page Three. Ich habe mich in einer Arbeit mit dem Gender Pay Gap beschäftigt und mich sogar bis zu Judith Butler vorgewagt.

Bin ich deswegen eine Feministin? Nein, denn ich glaube nicht an eine Bewegung, die so zerstritten ist und sich nach so vielen Wellen immer noch nicht auf gemeinsame Ziele, Ansichten und Überzeugungen einigen kann.

Daher wehre ich mich seit jeher dagegen, dieses Label auf mich anzuwenden und beobachte mit Erstaunen, wie inflationär in letzter Zeit damit hantiert wird. Exemplarisch dafür war eine Publikumsmeldung am Ende der Diskussion, die darum bat, doch bitte nicht andauernd in der "Wir"-Form zu sprechen und von "Feminismen" statt von dem "Feminismus".

Wenn es allerdings so viele kleine "Feminismen" gibt wie Menschen, dann können wir uns das Label doch gleich ganz sparen, oder?

Zeitlos // gut: Woody Allens "Interiors" / "Innenleben" (1978)

 
Drei ungleiche Schwestern auf der Suche nach dem richtigen Leben.

Mittdreißiger, die in Therapien ihre Kindheit aufarbeiten, junge Kreative, die vor lauter Selbstbezogenheit weder zu sich selbst noch zu Anderen finden und sich in Äußerlichkeiten flüchten.
Was heutzutage in jeder westlichen Großstadt spielen könnte, drehte Woody Allen bereits 1978 in New York. Ein echter Schatz des Autorenkinos, den es sich wiederzuentdecken lohnt.

Im Mittelpunkt stehen drei Schwestern, die jede auf andere Art mit einer psychisch-kranken Mutter,  ihrem Leben und Krisen umgeht.
Diane Keaton ist Renata, eine erfolgreiche Schriftstellerin in der Schaffenskrise. Wenn sie nicht versucht zu schreiben, streitet sie mit ihrem Mann oder sitzt beim Therapeuten.

Joey, gespielt von Mary Beth Hurt, galt einst als Wunderkind mit dem größten Potenzial. Heute gibt sie jeden Job nach kurzer Zeit auf und scheint trotz ihrer vielen Talente nichts zu finden, das sie auf Dauer machen möchte. 

Die Fragen, die sie sich in dieser Szene stellt, sind so wunderbar und schrecklich zeitlos zugleich.



Als der Vater die nervlich zerrüttete Mutter am Essentisch in Anwesenheit der erwachsenen Töchter verlässt, beginnt die Fassade der gutbürgerlichen, intellektuellen Ostküstenfamilie zu bröckeln.
Die Mutter findet derweil ihre Berufung in der Inneneinrichtung der Wohnung ihrer Tochter.


Allen thematisiert mit "Interiors" exemplarisch die Gefühlslage von Mittdreißigern: Schuldgefühle gegenüber älter werdenden Eltern und die ständige Frage, ob das jetzige Leben das richtige sei.
Hinter allem lauert ein Riesen-Anspruch, an den richtigen Partner, den richtigen Wein, das richtige Gespräch. Die Form wird wichtiger als der Inhalt. Ästhetik schlägt Liebe und der gute Geschmack erstickt das wahre Leben.

Diese auf Unsicherheit und Neurosen aufgebaute Welt gerät ins Wanken als der Vater eine neue Frau heiratet: laut, pragmatisch und lebensfroh. "Sie ist vulgär" lautet der schlimmste Vorwurf, den ihm seine Tochter machen kann. Besonders Joey gerät durch die neue Frau in einen Zwiespalt: einerseits liebt sie ihre zwanghafte Mutter und andererseits macht sie diese Liebe lebensunfähig.
Es kommt zu einem dramatischen Finale, in dem ihr 'neues Leben eingehaucht' wird. 
Am Ende muss das Künstliche, Manierierte sterben, um Platz zu machen, für das Leben. 

"Interiors" ist Allens unironischster Film und gerade deswegen sehr sehenswert.


Mittwoch, 20. November 2013

Berlin. Revisited.

An alten Freunden neue Seiten entdecken, in Clubs feiern, die früher anders hießen und noch einmal die alte Strecke im Nachtbus fahren. Wenn man ein paar Tage in der Stadt verbringt, in der man aufgewachsen ist, gesellen sich zu den Erinnerungen bald neue Eindrücke. Besonders wenn diese Stadt Berlin heißt.

Ich hatte gar nicht vor, so lange zu bleiben. Anlässlich der alljährlichen Reunion mit Freundinnen hatte ich fast beiläufig ein Ticket gebucht und für ein paar Tage gepackt. 
Ich mochte Berlin nicht mehr. Meine letzten Besuche waren Pflichtauftritte bei Familienfeiern gewesen und auch jetzt freute ich mich eher auf die Leute als auf die Stadt.

Berlin-Ostkreuz.

Als ich am Alex ankam, schlug mir sofort die geballte Prekarität entgegen, der man in Hamburg so schön entkommen kann. Ein Wurstverkäufer im Rollstuhl wartete vor dem Bahnhof auf Kundschaft und der eiskalte Wind kündigte einen unerbittlichen Berliner Winter an. 
In mir kroch die alte Angst hoch, inmitten dieser sozialen Kälte zu verrecken. Ich twitterte die Abscheu in mein Telefon, um nicht aufschauen zu müssen.

@Denise_dakar 09.11.13 18:13
Berlin. Wo ich nie wieder leben möchte. #ausvielengruenden

Mit den Freundinnen ging es dann wie jedes Jahr zum Stamm-Italiener. Beide haben im Sommer zusammen Urlaub gemacht, beide haben Kinder und arbeiten gerade an einem Kinderbuch. Obwohl ihre Leben nicht weiter von meinem entfernt sein könnten oder wegen des vielen Weines fühlte ich mich weniger einsam als in meiner Hamburger Wohnung bei der x-ten Staffel "Homeland". Ich beobachtete ihre Gesten wie alte Bekannte und fühlte mich gut aufgehoben. Das war also diese Freundschaft: Wenn man sich habituell so vertraut ist, dass es keiner faktischen Übereinstimmungen mehr bedurfte. 

Sich gegenseitig betrunken machen.

Ich blieb noch ein bisschen bei ihnen. Am nächsten Tag kamen dann die Kinder dazu. In meiner Erfahrung stets ein entfremdendes Element. Ein Schritt mehr zur Überwindung der Distanz von einem Menschen zum anderen, meist unüberwindbar. Da geht dann das typische Programm los: warten, lächeln, 'oh wie süß' sagen, Babysprache, Erziehungsfragen, logistische Fragen, Kinderwagen-Schieben, aufpassen, nur bei Grün, 'nein, da können wir jetzt nicht rein', ans Spielzeug denken, Schal umbinden, Spielzeug suchen, Mütze aufsetzen, Durst, Pipi, wieder was trinken und ach ja, dabei lächeln nicht vergessen.

Die Kinder der Anderen.
Nicht, dass ich das nicht schon kenne. Was dabei auf der Strecke bleibt: der Kontakt jenseits der reproduktiven Arbeit der Anderen. So sehr man sich als kinderloses Wesen auch anstrengt, unter Tische krabbelt, die Namen aller Kindercafés auswendig und die aktuelle Elterngeld-Regelung kennt. Man bleibt stets draußen stehen vor der Prokreations-Bubble.

@denise_dakar 10.11.2013 16:46 Uhr
Berlin oder die Hölle ist ein Kindercafé.

Dann also zu den kinderlosen Freunden mit freien Kapazitäten zur Abendplanung. Da diese praktisch nicht existieren, greife ich auf Freunde von Freunden, sozusagen auf Freunde zweiten Grades zurück. Die hätte ich mir wahrscheinlich selbst nicht ausgesucht, aber hey, immerhin haben die Zeit.

Zunächst lege ich eine Yogastunde bei einer Trainerin ein, die erst etwas vom "großen Wir" murmelt, dann Orgel spielt und später dünne Männer, die Leggings tragen, mit China-Balsam einreibt. Wahnsinn und so holy, dass niemand in der Umkleide miteinander redet.

Ich fahre an viele Orte, die ich von früher kenne. Ich weiß jetzt, dass man im Chagall noch immer einen anständigen Bortsch für 3,50 € bekommt. Dass die Gegend um die S-Bahnbrücke an der Dänenstraße noch immer den abgefuckten Charme ausstrahlt, an dem ich 'mein Berlin' festmache. Dass ich im Uebereck immernoch nächtelang auf dem alten Sofa quatschen, aber nicht die Zeit anhalten kann. Auch wenn der Ort der gleiche ist.

An der Dänenstraße.
Ich habe gesehen, wie meine Freunde sich weiterentwickelt haben und auch ich kann ja nicht stehengeblieben sein. Ich habe in dieser Woche getrunken, getanzt, bin wieder die Alte gewesen, habe gespielt, die Andern unterhalten und danach im Nachtbus geheult. Ob der Vergeblichkeit oder aus so etwas wie Liebe. 

Es fiel mir dieses Mal schwer, Berlin nach einer Woche wieder zu verlassen und zum ersten Mal seit Jahren kann ich mir vorstellen, zurückzukehren. Trotz der Kälte, trotz der Erinnerungen, wegen der Menschen.

@denise_dakar 18.11.2013 17:21 
Berlin oder Alte Liebe rostet nicht.

Freitag, 20. September 2013

City Strolls: Hamburg-Eimsbüttel

Es gibt sie, die blinden Flecken auf dem Plan in der eigenen Stadt. Meiner ist Eimsbüttel: ein Stadtteil, in dem eine Freundin wohnt und in den ich ab und zu fahre, um in eine bestimmte Bar zu gehen. Widerwillig. Als ich selbst noch keine Hamburgerin war, schleifte mich besagte Freundin jedoch in Läden, die bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen haben. 

An einem sonnigen Herbsttag nahm ich mir also vor, diese und neue Orte wiederzufinden. Alle Wege in Eimsbüttel führen zur Osterstraße. Eine äußerst hässliche Straße, die sich wie eine verkalkte Arterie durch den Stadtteil zieht. Die von Bausünden gesäumte Verkehrsader ist stark befahren und auch die Auslagen der Geschäfte bieten keine willkommene Abwechslung zum Lärm und Dreck.

Balkone jenseits der Osterstraße. @Eimsbüttel
Mit einer Ausnahme: der Alpenkantine. Erleichtert stürme ich in den schlichten, bis ins kleinste Detail liebevoll eingerichteten Laden und werfe einen Blick auf das Angebot. Gleich beim Walnuss-Karotten-Kuchen bleibe ich hängen. Aber auch die Salate sehen spannend aus. Es ist Herbst und da tummeln sich Kürbisstücke neben roter Beete und lila Kartoffeln. Nix da Eisbergsalat!
Ich entscheide mich also für zwei kleine Portionen Salat, die in reizenden Pols Potten-Schälchen serviert werden. Die niederländische Keramik kann man hier auch kaufen.

Pols Potten @Alpenkantine
Nach dem Mittag in der Herbstsonne geht es weiter die triste Osterstraße entlang. Mein Ziel: das Kongehus von Nicole Siemssen, ein kleiner verwinkelter Laden mit keinem speziellen Konzept. (Bestimmt gibt es eins, ich habe es nur nicht entdeckt.) Hier scheint sich eine Frau mit sicherem Geschmack den Traum vom eigenen Geschäft erfüllt zu haben. Es gibt antike Möbel, eine Madonnen-Statue aus Gips, Kleider von Nathalie Vleeschouwer, ein Vintage Lego-Schloss und viele Deko-Sachen zu kaufen. Neuerdings auch Hula-Hoop Reifen in allen Farben und Formen. Alles Sachen, die man garantiert nur hier findet und ein Traum zum "Schmökern", Kaffee trinken (ja, eine Kaffeemaschine gibt es auch) und dabei bedeutsame Gespräche führen.

Für eine bessere Welt! @Kongehus
Drei Schritte neben dem Kongehus liegt das Lecker Wohnen, ein kleiner Laden, in dem ich mich immer sehr befangen und beobachtet fühle. Aber für die leckere Eimsbütteler Kakaocreme (ich empfehle "Kekskrümel"!!!) vom Kakao-Kontor Hamburg muss man da durch. Die gibt es da nämlich neben lustigen Wohnaccessoires und Jute-Beuteln. Wenn man sich die strenge Beobachtung ("Keine Fotos!!!") nicht antun möchte, kann man auch gleich direkt ins Kakao-Kontor gehen, das nicht weit entfernt ist.

Für alle Foodists, Foodies oder einfach nur Hungrige in Hamburg, empfehle ich den Besonders lecker-Markt am Sonntag! Letztes Jahr konnte ich da wirklich viel entdecken und vor allem...probieren!

Montag, 3. Juni 2013

Wie Eines Teil einer Umstrukturierung wurde*

Viele reden derzeit von 80-Stunden Wochen, Burn Out, zu wenig Work-Life-Balance. Nicht ich. Ich arbeite in einer Abteilung im Abbau. Beziehungsweise einer Abteilung, die schon abgebaut ist, nur die Menschen sind noch da.

Als ich hier vor etwa zwei Jahren anfing, glaubte ich wirklich, das Paradies auf Erden gefunden zu haben. Nach einer traumatisierenden Agentur-Erfahrung - Kernarbeitszeit von neun bis sechs, komische Psychotaktiken und Hungerlohn - fand ich ein Team voller in sich ruhender, zufriedener Kollegen vor. Jeder hatte seinen Aufgabenbereich, es gab keine Revierkämpfe, geregelte Arbeitszeiten und nicht zuletzt ein gutes Gehalt. Die meisten meiner Kollegen waren schon länger als zehn Jahre im Unternehmen. Manche hatten gar ihr ganzes Berufsleben darin verbracht.

Komische, heile Arbeitswelt

Da gibt es einen Redakteur, der tagelang pseudo-philosophische Texte für "sein" Magazin in die Tastatur hackt. Meistens zitiert er Antoine Saint-Exupéry.
Einen Bürokraten, der Laufwerke verwaltetet und die meiste Zeit damit verbringt, zu telefonieren. Mit wem, das weiß keiner so genau.
Und zwei Halbtagsmütter, die zusammen einen wöchentlichen Newsletter erstellen.
Darüber thront wie eine wohlwollende Henne: die Chefin. Schnell, direkt und menschlich.
Auf dem Weg zu meinem Büro kam ich stets an einer halb geöffneten Tür vorbei, hinter der ein Mann mittleren Alters auf seinen Start-Bildschirm starrte. Am Ende des Ganges gab es den ehemaligen Marketing-Chef, den man nie ohne Fahne antraf und zu dem man ging, wenn ein Flaschenöffner gebraucht wurde. Alles gut soweit.

Bis die Berater kamen...

Bis die Berater kamen und ihren Augen nicht trauten, ob der vielen Mitarbeiterkapazitäten (MAKs) und des geringen Outputs. Sie setzten ein Programm mit schnittigem Namen auf, das der Vorstand jetzt durch die Betriebsräte kämpft.

Daraufhin wurde das Tippen weniger. Der nervöse Husten häufiger. Aus drei Magazinen wurde eins und bald der Umzug in die Zentrale angeordnet. 400 Kilometer, viereinhalb Stunden mit dem Auto, eine Strecke.

Keine Alternative für Menschen, die hier ein Haus gebaut, Kinder bekommen und einen Baum gepflanzt haben. Das ist natürlich gewollt. Für ein Magazin braucht man nicht drei Mitarbeiter, vielleicht nicht mal einen.


Change: Manche schaffen es ins nächste Glas, manche springen daneben. In der Luft hängen alle.

Also gilt es täglich, den Kloß im Hals wegzuschlucken und weiter zu machen. Was auch immer. Und sei es, ein Blog zu schreiben. Gegen den Stillstand, gegen die Angst.

Irgendwann kann man keine Stellen mehr googlen. Irgendwann kann man auch die Gespräche nicht mehr hören, ob der Sinnlosigkeit und Willkür der Maßnahmen. Es gibt inzwischen Kollegen, deren Berufsbild es zu sein scheint, dem Unternehmen möglichst viel Geld aus den Rippen zu leiern. Vielleicht kompensieren sie so das Gefühl, um etwas betrogen worden zu sein. Worte wie Sprinterprämie, Abfindung, Vorruhestand gehören plötzlich zum täglichen Wortgebrauch.

Da es so lange dauert, das Wegrationalisiert-Werden, erstarrt man eben einfach. Eine Frist verlängert die andere. Man schleppt sich auf Veranstaltungen mit rhetorisch wechselnd begabten Bertriebsräten, die anfangs noch kämpferisch wirken und irgendwann nur noch resigniert mit den Schultern zucken.

In der Zwischenzeit sitzt man da. Arbeiten kann hier kaum noch jemand. Existenzangst, Wut und energisch unterdrückte Hoffnung liegen in der Luft. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Man sitzt still.

*Titel als anerkennendes Nicken an Sybille Berg

Sonntag, 14. April 2013

Frühling oder Muss das sein?

Gegen den Frühling an sich habe ich nichts: dass es wärmer wird, die Vögel lustig zwitschern und die Sonne scheint. Ich habe nur etwas dagegen, was es aus den Menschen macht, die der vermehrten Vitamin D-, Melatonin- und Hormon-Ausschüttung anscheinend nicht gewachsen sind.

Als jemand, der sich in diesem langen Winter sehr gut an die dunkle Jahreszeit angepasst hat und es nun mag, bereits um 18 Uhr mit einer Wärmflasche, einem guten Buch oder der neuen Lieblingsserie unter der Bettdecke zu verschwinden, irritieren mich Menschen, die jetzt plötzlich Bonbonfarben anziehen und voller Tatendrang durch den Stadtpark hecheln.

Zumeist in Pärchenformation, bleiben sie an jeder kaum blühenden Pflanze stehen, um sie entweder abzureißen oder "Oh, ist das schöööön" zu seufzen. Der vermehrte Hormonausstoß ist besonders auffällig an den Heranwachsenden, die plötzlich anfangen, sich auf offener Straße zu befingern. Kaum ist die erste "Bravo" ausgelesen, ist die Zunge auch schon im Hals. Sowas möchte ich nicht sehen.
Schlimmer noch ist die unfreiwillige Fleischbeschau. Egal, wie unansehlich Körperteile sind. Mit steigender Temperatur werden sie zuverlässig den Blicken der (unschuldigen) Passanten ausgesetzt. Weiße Cellulite-Dellen kämpfen dann mit krampfgeäderten Beinen um unsere Aufmerksamkeit. Speckrollen aller Art werden in Bonbon-Papier (s.o.) eingepackt.

Womit wir bei der Damenmode wären... Die lässt ja in diesem Frühjahr auch nicht gerade hoffen. Hautenge, großflächig bedruckte Leggings und fast durchsichtige Tops, die nur von circa zwei Prozent der Bevölkerung mit Würde getragen werden können, lassen ahnen, wie oft man lieber den Blick abwendet. Aus Höflichkeit, oder Fremdscham.
Ich mag es, wenn Menschenkörper jeglichen Alters in dicken Jacken versteckt und Beine von Hosen bedeckt sind. Ich mag es auch selbst nicht, meine Haut zu Markte zu tragen. Der ganze Aufwand, den man betreiben muss, um unter dem Radar der Akzeptabilität durchzutauchen. Maniküre, Pediküre, Waxing, Bauch-Beine-Po drei Mal die Woche, nachts die Beine am besten in Cellophan-Hülle und die 60 €-Thermocreme einwickeln.

Und ich sehe sie, die Frauen, die tatsächlich dieses Programm durchziehen. Sie haben schon im Winter damit angefangen, mich im ersten Licht des Frühlings schlecht aussehen zu lassen.
Ich sehe sie Sonntagvormittag, -nachmittag-, abend durch den Park hecheln, während ich vom Kuchenessen komme. Ich sehe sie bei Wind und Wetter auf dem Fahrrad, ich lese ihre Frühjahrmode-Blogs und verfolge ihre Detox-Saftkuren auf Instagram.

Ich möchte am liebsten auf diesen ganzen Zirkus verzichten, die Decke über den Kopf ziehen und in einem Buch versinken. Lange wird mir das nicht mehr gelingen. Den Friseurtermin nächste Woche habe ich schon. Ich hoffe nur, es wird nicht warm, bevor ich eine akzeptable Frühjahrshose gefunden habe.

Donnerstag, 11. April 2013

"Der Schaum der Tage" oder Reasons to go to Paris No.2

»... die Beweiskraft der folgenden Seiten beruht auf der Tatsache, daß die Geschichte vollkommen wahr ist, weil ich sie von Anfang bis Ende erfunden habe.«
Boris Vian "Der Schaum der Tage", Vorwort 

Am 24. April startet in französischen und belgischen Kinos der neue Gondry, "Der Schaum der Tage" (L'écume des jours), eine Adaption des surrealen Romans von Boris Vian.
Gelegenheit, ein Auge auf die Gemeinsamkeiten von Autor und Regisseur zu werfen. Beide besitzen die Fähigkeit, im Alltag absurde Universen zu kreieren.

Zunächst zu Vian: Der Sohn aus besserer Gesellschaft versuchte sich in mehreren Genres: als Jazz-Trompeter, Schauspieler, Poet und eben als Romancier. Er war Zeitgenosse von Persönlichkeiten wie Jean-Paul Sartre (der ihm die Frau wegnahm) und Duke Ellington (dem er zu Gigs in Paris verhalf). Zu Lebzeiten angefeindet und als Spinner belächelt, wurde sein Werk "Der Schaum der Tage" (1947, Gallimard) erst in den 68ern und somit nach seinem frühen Tod 1959 zum Kultbuch.

Boris Vian
Verstört von der Erfahrung des Krieges und jeglicher Glaubenssysteme beraubt, schrieb Vian 1946 die tragisch-absurde Liebesgeschichte zwischen Colin und Chloe. Das Buch ist voller surrealer Elemente, neuer Wortschöpfungen und Anspielungen. So karikiert er beispielsweise den Existenzialisten Jean-Paul Sartre, indem er aus ihm den existenzialistischen Demagogen Jean-Sol Partre macht. Vian beschreibt die Dinge nicht so wie sie sind, sondern wie er sie gern hätte. Er erfindet er eine Welt, in der Träume Realität sind.



Die Grenze zwischen Traum und Realität überschreitet auch Vians Landsmann Michel Gondry in seinen Spielfilmen sehr gern. Zu beobachten ist das beispielsweise in seiner selbstgedrehten Video-Biographie mit dem programmatischen Titel "I've been twelve forever". In Gondrys Leben sind die Träume seiner Kindheit so präsent, als wären sie gerade erst passiert. Sie sind die Inspiration für seine Musikvideos und auch seine Filme. Hatte Gondry als Jugendlicher Albträume, dass seine Hände zu groß seien, so findet sich Gael Garcia Bernal in "The Science of Sleep" mit überdimensionierten Papp-Händen wieder.

The Science of Sleep, Michel Gondry (2006)

Auch im "Schaum der Tage" kann er diese Ader wieder voll ausleben.
Wenn die Romanorlage schon eine Protagonistin bietet, in deren Lunge eine Seerose wächst, dürfen wir gespannt sein, was Gondry daraus gemacht hat. Der Trailer zumindest ist vielversprechend.



Gondry greift den Jazz auf, den Vian so liebte: Duke Ellington darf im Soundtrack daher natürlich nicht fehlen. Die Frischvermählten schweben schwerelos vom Altar zu ihrer komplett verglasten Hochzeitskutsche. Nicht nur die Gesetze der Schwerkraft sind außer Kraft gesetzt. Auch die von Raum und Zeit scheinen bunt durcheinander gewürfelt zu sein. Die von Vian geschaffene Welt bietet die perfekte Spielwiese für einen Träumer wie Gondry.

Leider müssen wir in Deutschland bis zum 4.August auf den Kinostart warten... oder gleich nach Paris fahren.

Mittwoch, 10. April 2013

Reasons to go to Paris - No.1

Heute startet in der Cinemathèque francaise eine Ausstellung zum Lebenswerk von Jacques Demy, dem wir Klassiker wie "Parapluies de Cherbourg" und "Les Demoiselles de Rochefort" verdanken.
Die bonbonfarbenen Musicalromanzen mit der wunderschönen Cathérine Deneuve in der Hauptrolle haben einen festen Platz im französischen Filmgedächtnis.

Die Tageszeitung "Libération" widmet der Ausstellung in ihrer heutigen Ausgabe ein Special.

Am Eröffnungswochenende wird als Hommage an den Film "Les demoiselles de Rochefort" ein Tanz-Flashmob vor dem Pariser Rathaus organisiert.
Die Anleitung gibt es hier.

Cathérine Deneuve mit ihrer Schwester Françoise Dorléac und Jacques Demy bei den Dreharbeiten




















Dieser Film war der letzte wirkliche Erfolg für Demy und gleichzeitig der letzte Film, in dem Cathérine Deneuve mit ihrer Schwester Françoise Dorléac zusammen spielte. Diese verünglückte noch im selben Jahr tödlich. Ein Schicksalsschlag, über den Deneuve zwanzig Jahre lang nicht geredet hat.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 04.August 2013.