Sonntag, 14. September 2014

Murals sind der letzte heiße Scheiß*

*Ich schreibe diesen Beitrag nicht für Leute, die die "art" abonniert haben oder die von einer Block-Party zur nächsten hüpfen, sondern für den Rest. Für die, die "Häh, was?" fragen, wenn ich von Murals rede. Bitteschön.

PAU für ihr "Project Wallflowers" an der Heliosstraße in Köln-Ehrenfeld.
 

Seit einiger Zeit steht das Mural immer mehr im Mittelpunkt der legalen Street-Art. Wahrscheinlich, weil es einfach auffällt, wenn sich Leute mit Farbeimern, Atemschutz und Kran einer Wand nähern. Viele Murals entstehen als Nachbarschafts-Projekte mit Bezug zum öffentlichen Raum. Doch auch der Kommerz hat sie schon für sich entdeckt.

Das erste aufsehenerregende Mural-Projekt hierzulande war die East Side Gallery. Im Frühjahr 1990 bemalten als 118 Künstler aus aller Welt die Ostseite der Berliner Mauer. Das war ziemlich politisch (siehe unten).


Berliner Mauer 1990: das erste deutsche Mural-Projekt.
 
Kunst meets Kommerz

Heutzutage gibt es eine etablierte Community von großen Namen wie Pixelpancho, JR oder Etam Cru, die in einzelnen Projekten und auf Festivals auftauchen. Kaum einer von ihnen ist noch ohne massive Social Media Präsenz und entsprechender Fangemeinde unterwegs. Die Follower posten selbst Bilder ihrer Lieblingsartists und machen sich durch Hashtags gegenseitig auf neue Sichtungen aufmerksam.

Vorbei sind die Zeiten, in denen sich die Wandbemaler bei Nacht und Nebel davonstahlen. Heute werden die Street-Artists gefeiert wie Pop-Stars. Die Block-Parties wie in Montreal oder New York sind Riesen-Events. Natürlich ist der Kommerz da nicht weit.
Streetwear Firmen wie Converse sponsern inzwischen ganze Kunstwerke. Dazu wird dann ein Video mit elektronischer Musik gedreht und fertig ist der Werbeclip.




Als sogenannte Urban Art erobert Street-Art längst die Galerien und Kunstmessen weltweit. Galerien in Köln und Hamburg integrieren Murals in ihre Ausstellungen.

Die andere Seite

Doch es gibt auch die Community-Projekte wie in Bushwick, Brooklyn, wo Joe Ficalora auf eigene Initiative seine Nachbarschaft und nicht zuletzt sein Leben aufgewertet hat: "Mit jedem Mural, das hier entsteht, bringe ich ein bisschen Schönheit und ein bisschen Leben in die Nachbarschaft zurück. Es ist, als würde die Sonne aufgehen. Die Leute lächeln wieder."




Oft nehmen die Arbeiten Bezug auf die Nachbarschaft und die gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen sie entstehen. Das ist meist in eher heruntergekommenen Viertel, Arbeiterwohnblöcken oder verlassenen Häuser wie in der belgischen Geisterstadt Doel, die Street-Artists fast komplett erobert haben. Als die Stadt dem Hafenausbau zum Opfer fallen sollte, unterstützten Künstler aus ganz Europa mit ihren Murals die Einwohner, die nicht weichen wollten. Heutzutage sind es noch ganze 25 und Doel eine Art "post-apokalyptisches Kunstparadies".

Aber nicht immer steht die politische Message so sehr im Vordergrund: "Ich bin nicht hier, um die Welt zu verändern. Ich bin nicht Che Guevara oder so!" so das Duo Etam Cru in der sehenswerten Dokumentation über ihre Arbeit beim "Urban Creatures" Festival in Sofia.




Sie sagen aber auch: "Es ist besser, Murals in alten, etwas heruntergekommenen Ecken zu machen. Da brauchen das die Leute noch. Ich will, dass sie aus ihrer Routine gerissen werden und für einen Moment träumen können."

Die chilenische Mural-Künstlerin Pau Quintanajornet fand die Menschen vor ihren Wänden so interessant, dass sie ihnen ein eigenes Projekt gewidmet hat. Für das "Project Wallflowers" dokumentieren sie und weitere Künstlerinnen den Entstehungsprozess der Murals und die Interaktion mit den Menschen, denen sie weltweit begegnen.

Im Moment sprießen Mural-Festivals von Stavanger bis Moskau nur so aus dem Boden.

Bleibt zu hoffen, dass sie einen Beitrag zur jeweiligen Gemeinschaft leisten und nicht komplett von kommerziellen Interessen vereinnahmt werden. Bisher sieht es ganz gut aus.

Auch Hamburg hat seit heute sein temporäres Wandbild-Festival. Im Rahmen von City Canvas werden an der Reeperbahn aufgestellte Wände bemalt. Eine ständige Mural-Galerie entsteht im Millerntorstadion, gesponsert von Viva con Agua...





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