Gegen den Frühling an sich habe ich nichts: dass es wärmer wird, die Vögel lustig zwitschern und die Sonne scheint. Ich habe nur etwas dagegen, was es aus den Menschen macht, die der vermehrten Vitamin D-, Melatonin- und Hormon-Ausschüttung anscheinend nicht gewachsen sind.
Als jemand, der sich in diesem langen Winter sehr gut an die dunkle Jahreszeit angepasst hat und es nun mag, bereits um 18 Uhr mit einer Wärmflasche, einem guten Buch oder der neuen Lieblingsserie unter der Bettdecke zu verschwinden, irritieren mich Menschen, die jetzt plötzlich Bonbonfarben anziehen und voller Tatendrang durch den Stadtpark hecheln.
Zumeist in Pärchenformation, bleiben sie an jeder kaum blühenden Pflanze stehen, um sie entweder abzureißen oder "Oh, ist das schöööön" zu seufzen. Der vermehrte Hormonausstoß ist besonders auffällig an den Heranwachsenden, die plötzlich anfangen, sich auf offener Straße zu befingern. Kaum ist die erste "Bravo" ausgelesen, ist die Zunge auch schon im Hals. Sowas möchte ich nicht sehen.
Schlimmer noch ist die unfreiwillige Fleischbeschau. Egal, wie unansehlich Körperteile sind. Mit steigender Temperatur werden sie zuverlässig den Blicken der (unschuldigen) Passanten ausgesetzt. Weiße Cellulite-Dellen kämpfen dann mit krampfgeäderten Beinen um unsere Aufmerksamkeit. Speckrollen aller Art werden in Bonbon-Papier (s.o.) eingepackt.
Womit wir bei der Damenmode wären... Die lässt ja in diesem Frühjahr auch nicht gerade hoffen. Hautenge, großflächig bedruckte Leggings und fast durchsichtige Tops, die nur von circa zwei Prozent der Bevölkerung mit Würde getragen werden können, lassen ahnen, wie oft man lieber den Blick abwendet. Aus Höflichkeit, oder Fremdscham.
Ich mag es, wenn Menschenkörper jeglichen Alters in dicken Jacken versteckt und Beine von Hosen bedeckt sind. Ich mag es auch selbst nicht, meine Haut zu Markte zu tragen. Der ganze Aufwand, den man betreiben muss, um unter dem Radar der Akzeptabilität durchzutauchen. Maniküre, Pediküre, Waxing, Bauch-Beine-Po drei Mal die Woche, nachts die Beine am besten in Cellophan-Hülle und die 60 €-Thermocreme einwickeln.
Und ich sehe sie, die Frauen, die tatsächlich dieses Programm durchziehen. Sie haben schon im Winter damit angefangen, mich im ersten Licht des Frühlings schlecht aussehen zu lassen.
Ich sehe sie Sonntagvormittag, -nachmittag-, abend durch den Park hecheln, während ich vom Kuchenessen komme. Ich sehe sie bei Wind und Wetter auf dem Fahrrad, ich lese ihre Frühjahrmode-Blogs und verfolge ihre Detox-Saftkuren auf Instagram.
Ich möchte am liebsten auf diesen ganzen Zirkus verzichten, die Decke über den Kopf ziehen und in einem Buch versinken. Lange wird mir das nicht mehr gelingen. Den Friseurtermin nächste Woche habe ich schon. Ich hoffe nur, es wird nicht warm, bevor ich eine akzeptable Frühjahrshose gefunden habe.
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