Mittwoch, 20. November 2013

Berlin. Revisited.

An alten Freunden neue Seiten entdecken, in Clubs feiern, die früher anders hießen und noch einmal die alte Strecke im Nachtbus fahren. Wenn man ein paar Tage in der Stadt verbringt, in der man aufgewachsen ist, gesellen sich zu den Erinnerungen bald neue Eindrücke. Besonders wenn diese Stadt Berlin heißt.

Ich hatte gar nicht vor, so lange zu bleiben. Anlässlich der alljährlichen Reunion mit Freundinnen hatte ich fast beiläufig ein Ticket gebucht und für ein paar Tage gepackt. 
Ich mochte Berlin nicht mehr. Meine letzten Besuche waren Pflichtauftritte bei Familienfeiern gewesen und auch jetzt freute ich mich eher auf die Leute als auf die Stadt.

Berlin-Ostkreuz.

Als ich am Alex ankam, schlug mir sofort die geballte Prekarität entgegen, der man in Hamburg so schön entkommen kann. Ein Wurstverkäufer im Rollstuhl wartete vor dem Bahnhof auf Kundschaft und der eiskalte Wind kündigte einen unerbittlichen Berliner Winter an. 
In mir kroch die alte Angst hoch, inmitten dieser sozialen Kälte zu verrecken. Ich twitterte die Abscheu in mein Telefon, um nicht aufschauen zu müssen.

@Denise_dakar 09.11.13 18:13
Berlin. Wo ich nie wieder leben möchte. #ausvielengruenden

Mit den Freundinnen ging es dann wie jedes Jahr zum Stamm-Italiener. Beide haben im Sommer zusammen Urlaub gemacht, beide haben Kinder und arbeiten gerade an einem Kinderbuch. Obwohl ihre Leben nicht weiter von meinem entfernt sein könnten oder wegen des vielen Weines fühlte ich mich weniger einsam als in meiner Hamburger Wohnung bei der x-ten Staffel "Homeland". Ich beobachtete ihre Gesten wie alte Bekannte und fühlte mich gut aufgehoben. Das war also diese Freundschaft: Wenn man sich habituell so vertraut ist, dass es keiner faktischen Übereinstimmungen mehr bedurfte. 

Sich gegenseitig betrunken machen.

Ich blieb noch ein bisschen bei ihnen. Am nächsten Tag kamen dann die Kinder dazu. In meiner Erfahrung stets ein entfremdendes Element. Ein Schritt mehr zur Überwindung der Distanz von einem Menschen zum anderen, meist unüberwindbar. Da geht dann das typische Programm los: warten, lächeln, 'oh wie süß' sagen, Babysprache, Erziehungsfragen, logistische Fragen, Kinderwagen-Schieben, aufpassen, nur bei Grün, 'nein, da können wir jetzt nicht rein', ans Spielzeug denken, Schal umbinden, Spielzeug suchen, Mütze aufsetzen, Durst, Pipi, wieder was trinken und ach ja, dabei lächeln nicht vergessen.

Die Kinder der Anderen.
Nicht, dass ich das nicht schon kenne. Was dabei auf der Strecke bleibt: der Kontakt jenseits der reproduktiven Arbeit der Anderen. So sehr man sich als kinderloses Wesen auch anstrengt, unter Tische krabbelt, die Namen aller Kindercafés auswendig und die aktuelle Elterngeld-Regelung kennt. Man bleibt stets draußen stehen vor der Prokreations-Bubble.

@denise_dakar 10.11.2013 16:46 Uhr
Berlin oder die Hölle ist ein Kindercafé.

Dann also zu den kinderlosen Freunden mit freien Kapazitäten zur Abendplanung. Da diese praktisch nicht existieren, greife ich auf Freunde von Freunden, sozusagen auf Freunde zweiten Grades zurück. Die hätte ich mir wahrscheinlich selbst nicht ausgesucht, aber hey, immerhin haben die Zeit.

Zunächst lege ich eine Yogastunde bei einer Trainerin ein, die erst etwas vom "großen Wir" murmelt, dann Orgel spielt und später dünne Männer, die Leggings tragen, mit China-Balsam einreibt. Wahnsinn und so holy, dass niemand in der Umkleide miteinander redet.

Ich fahre an viele Orte, die ich von früher kenne. Ich weiß jetzt, dass man im Chagall noch immer einen anständigen Bortsch für 3,50 € bekommt. Dass die Gegend um die S-Bahnbrücke an der Dänenstraße noch immer den abgefuckten Charme ausstrahlt, an dem ich 'mein Berlin' festmache. Dass ich im Uebereck immernoch nächtelang auf dem alten Sofa quatschen, aber nicht die Zeit anhalten kann. Auch wenn der Ort der gleiche ist.

An der Dänenstraße.
Ich habe gesehen, wie meine Freunde sich weiterentwickelt haben und auch ich kann ja nicht stehengeblieben sein. Ich habe in dieser Woche getrunken, getanzt, bin wieder die Alte gewesen, habe gespielt, die Andern unterhalten und danach im Nachtbus geheult. Ob der Vergeblichkeit oder aus so etwas wie Liebe. 

Es fiel mir dieses Mal schwer, Berlin nach einer Woche wieder zu verlassen und zum ersten Mal seit Jahren kann ich mir vorstellen, zurückzukehren. Trotz der Kälte, trotz der Erinnerungen, wegen der Menschen.

@denise_dakar 18.11.2013 17:21 
Berlin oder Alte Liebe rostet nicht.

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